Dorothea Serner

Dorothea Serner, Walter Serners Ehefrau, die mit ihm gemeinsam am 23. August 1942 von Nazi-Schergen bei Riga erschossen wird, kommt am 18. Januar 1889 in Berlin als Dorothea Herz zur Welt. Ihr Vater ist der Kaufmann Max Meyer Herz, ihre Mutter Betty Herz, geb. Ascher. Walter Serner heiratet seine langjährige Lebensgefährtin am 5.2.1938 in Karlsbad, Trauzeugin ist seine Schwester Ada.

 

Wie und wo Dorothea und Walter Serner sich kennenlernen, weiß man nicht. Christian Schad, seit 1915 engster Freund Serners, schreibt in seinen Erinnerungen zu Serner Mitte der Zwanziger Jahre: "Eine sympathische und gutaussehende Berlinerin teilte sein Leben" ("Relative Realitäten" S. 94). Walter Serner widmet ihr den 1925 erschienen Erzählungsband "Der Pfiff um die Ecke" ("Für Dorothée Herz"). Beide sind wohl seit 1924 ein Paar (übereinstimmende Bezeichnung 1933: seit neun Jahren Lebensgefährte/ Lebensgefährtin). 

 

Seit der Entdeckung der Briefe Serners an den Arbeiter-Arzt Brupacher und dem daraus resultierenden Auffinden der Patientenakte von Dorothea Serner aus dem Sanatorium "Lebendige Kraft" in Zürich weiß man mehr von der bis dahin weitgehend unbekannt gebliebenen langjährigen Lebens- und Reisegefährtin und späteren Ehefrau Walter Serners. Auch auf die Beziehung zwischen Walter und Dorothea werfen die nunmehr entdeckten Dokumente ein neues Licht. 


Dorothea Herz ist Anfang 1933 sehr krank. Sie hat starke Unterleibsbeschwerden, nachdem 1928 bei ihr mit hoher Strahlenbelastung eine Röntgen-Katstration durchgeführt wurde (Walter Serner schreibt von 4 Bestrahlungen zu je 33 Minuten, obgleich die Maximaldosis des Apparats 25 Minuten betragen habe). Zudem leidet sie an Magen- und Herzproblemen und ist psychisch angeschlagen. Sie geht deshalb in das Sanatorium „Lebendige Kraft“, das von dem Arzt Bircher-Benner, dem Erfinder des Bircher-Müslis, geleitet wird. Bei der Aufnahme wird sie als "Rentnerin" bezeichnet, als ihr nächster Angehöriger Walter Serner. Einer Pflegekraft öffnet sie sich nach einigen Tagen:

 

„Frau Stahl läutet mir und möchte den Puls gefühlt haben... Ich frage, was haben Sie wohl ihrem Herzen alles zugemutet... Sie hätte großes Bedürfnis zu sprechen. Nachdem sie 9 Jahre mit einem Mann (Lebensgefährte) zusammengelebt habe, der sie von allem abgeschlossen, von jeglichem Verkehr mit anderen Menschen. Sie hat für ihn alles aufgegeben, gute Zeit mit ihrem Mann, angenehmes Leben (indem sie sich jedoch wenig wohl fühlte, weil es nicht ihrem Wesen entsprochen habe). Sie habe durch die Scheidung auch alle früheren Freunde verloren. Den Schriftsteller hätte sie so geliebt, dass sie erst nach Jahren gespürt habe, dass er ganz von ihrer Kraft lebe – bis eben jetzt nie die Kraft zum Loslösen gehabt. Sie habe viel von ihm bekommen, aber zu teuer bezahlt, nämlich mit ihrem Herzen (Herzblut). Sie erzählt u. a. von einer Frau eines Schriftstellers, die sich für ihren Mann aufgeopfert hat, bis sie an Herzschwäche gestorben sei. Sie sieht während sie mir das erzählt eine Parallele mit ihrem Schicksal und ihrem eigenen Leben. Könnte doch auch daran sterben. Aber sie hätte doch so viel Lebenswille. Im richtigen Moment hätte sie von dieser Frau gehört, sonst wäre es ihr ebenso gegangen...“

 

Den Aufenthalt im Sanatorium kann sich Dorothea nur eingeschränkt leisten. Am 16. Februar 1933 schreibt Dorothea Serner an ihren Arzt Dr. Franklin Bircher:

 

"Sehr geehrter Herr Doktor,

mein geschiedener Mann hat mir versprochen, im Krankheitsfalle entstehende abnormale Kosten zu übernehmen. Infolge der elenden Lage in Deutschland werde ich es sehr schwer haben, die Erfüllung dieses Versprechens wenigstens zur Hälfte, oder etwas mehr, zu erreichen. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Hilfe. Würden Sie so freundliche sein und mir bestätigen, daß ich, wegen eines ernsten Leidens, einen zweimaligen Aufenthalt von je 2 Monaten im Sanatorium dringend brauche. Wenn möglich, ihrer die Unterschrift Ihres Vaters beizufügen, wäre es wegen der größeren Bekanntheit des Namens "Bircher-Benner"  vorteilhafter für mich. Hoffend, daß ich Sie mit dieser Bitte nicht zu sehr belästige, Ihre dankbare Dorothea Stahl"

 

Die Bestätigung wird am 24. Februar 1933 ausgestellt. Dass Dorothea mit diesem Ansinnen bei ihrem geschiedenen Mann Erfolg hat, erscheint unwahrscheinlich. Die am 11. Februar 1933 begonnene Kur bricht sie vorzeitig am 11. März 1933 ab, kommt aber bis 23. Mai 1933 weiter zur Behandlung und zu Anwendungen. 

 

Dem Ausscheiden aus dem Sanatorium im März 1933 folgt bis Ende 1933 ein Briefwechsel zwischen Dorothea (teils sind die Briefe von Walter Serner geschrieben und von Dorothea nur unterschrieben) und dem behandelnden Arzt Dr. Franklin Bircher. Daraus und aus einem von Walter Serner im Februar 1933 an Dr. Franklin Bircher geschriebenen Brief ergeben sich folgende Aufenthalte/Adressen:

11.2.1933 und 25.2.1933: Bern, Kramgasse 16

10.4.1933: Zürich

23.9.1933 und 5.10.1933: Barcelona, Sepulveda 133, 

26.11.1933 und 12.12.1933: Barcelona, Aribau 15 2° 3 e. 

In den Krankenakten finden sich auch die letzten Briefe, die bislang von Walter Serner bekannt geworden sind (November 1933). Darin bittet er um medizinische Informationen für Dorothea.

 

Aus den Krankenakten ergeben sich noch folgende biografische Informationen:

- Anfang 1933 war sie in Lausanne, dann etwa seit Ende Januar 1933 in Bern

- Geburt einer Tochter am 3.10.1911 (es handelt sich um Eva Stahl, s.u.) zwei Abtreibungen 1913 und 1921 (so in einer handschriftlichen Aufzeichnung von ihr; auf einem Anamnesebogen sind hinsichtlich der Familie drei Kinder, männlich, 19, 18 und 14 Jahre alt, aufgeführt, ggfs. von einem ihrer Geschwister?)

- Vater Max lebt 1933 noch und ist 80 Jahre alt, die Mutter ist mit 64 Jahren bereits verstorben



(Foto Bircher-Benner Klinik, Januar 1933, Archiv für Medizingeschichte Universität Zürich, Signatur IN 47.01.02:8662; Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Archivs)


Aufenthalt in Karlsbad 1913


Eine Dorothea Stahl macht nach der Karlsbader Kurliste vom 7.6.1913 eine Kur in Karlsbad. Es handelt sich wahrscheinlich um die spätere Frau Serners, wie die Angabe "Kaufmannsgattin" nahelegt. Als gewöhnlicher Aufenthaltsort wird "St. Petersburg" angegeben (wo ihr Mann mutmaßlich geschäftlich tätig ist), als Unterkunft "Aeskulap, Parkstrasse". Vermutlich reist sie mit der ebenfalls aus St. Petersburg kommenden "Kaufmannswitwe" Sofie Nabholz, die ebendort unterkommt und in der Kurliste vor ihr steht. Ein weiterer Kuraufenthalt für Dorothea Stahl (aus Charlottenburg) ist ab dem 3.7.1922 für den Kurort Wildbad (Schwarzwald) belegt (Unterkunft Hotel Klumpp, Wildbad Badeblatt mit amtl. Kurliste Nr. 26 vom 6.7.1922); ein Hinweis darauf findet sich in ihren Krankenakten von 1933. Lernt Dorothea in Karlsbad 1913 ihren späteren zweiten Ehemann Walter kennen?

Hochzeit mit Julius Stahl

Dorothea Serners erster Ehemann, Julius Stahl, kommt aus einer wohlhabenden Berliner Kaufmannsfamilie. Beide heiraten am 27.2.1910

(Berliner Tageblatt und Handelszeitung, Morgenausgabe, 24.2.1910, S. 15).

Eva Stahl


Die Tochter von Julius und Dorothea Stahl , geboren am 3. 10. 1911, wandert am 15. 7. 1937 nach Israel aus und entgeht so der Verfolgung von Menschen jüdischer Herkunft.


Einbürgerungsurkunde

Julius Stahl

In den 1920er-Jahren erwirbt Julius Stahl in Sacrow bei Berlin ein "Schweizerhaus" am Eingang der Villenkolonie (Einzelheiten hierzu: Jan Maruhn, Die Schweiz mit Seeblick - Haus Julius Stahl, in: Jürgen Strauss (Hrsg.), Sacrow, Vom Märkischen Dorf zum Ort der Moderne, Berlin 2005, S. 1010; Recherche: Reinhard Pabst)

Geschwister


Dorothea hat 3 jüngere Brüder (Hans, 22.6.1890; Kurt, 7.1.1894 und Fritz, 21.9.1897) sowie eine jüngere Schwester (Alice Peck, geschiedene Polke, geb. 17.4.1892; sie wird in Auschwitz-Birkenau im März 1943 ermordet).


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