2016 entdeckt: Die Brupbacher Briefe
Im Frühjahr 2016 entdeckt Georg Wiesing-Brandes, Inhaber der Kunstbuchhandlung MeRz im Sprengel Museum Hannover und Serner-Kenner, bei seinen Recherchen im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich im Nachlass des Arbeiter-Arztes und Publizisten Fritz Brupbacher zwei bislang unbekannte Briefe von Walter Serner an Fritz Brupbacher aus dem März und Mai 1933. Sie gehören mit zu den letzten privaten Zeugnisse aus Serners Hand. Besonders bemerkenswert ist der Brief vom 10. Mai 1933, denn dort geht es um die langjährige Lebensgefährtin und spätere Frau Serners Dorothea Herz, geb. 18.1.1889 in Berlin, verheiratete und später geschiedene Stahl.
Im Archiv für Medizingeschichte der Universität Zürich unter Leitung von Frau Dr. Gudrun Kling (vielen Dank!!!) konnte daraufhin im Bestand der Patientenakten Bircher-Benner eine Akte von Dorothea Stahl, geb. Herz, geb. 18.1.1889, gefunden werden; als "Angehöriger" wird Dr. Walter Serner, wohnhaft (mit Frau Stahl) Bern, Kramgasse 16, angegeben. Auf dem Mantelbogen der Patientenakte ist das bislang erste Bild von Dorothea Serner zu sehen (solche Bilder wurden regelmäßig von den Patienten beim Eintritt in das Sanatorium Bircher-Benner gefertigt, hier im Januar 1933).
Die Veröffentlichung der Briefe erfolgt mit ganz herzlichem Dank an den Entdecker Georg Wiesing-Brandes und an das Schweizerische Sozialarchiv, das die Veröffentlichung der Briefe genehmigt hat. Die Briefe sind dort unter der Signatur SozArch Ar 101 Brupbacher, Fritz (1874-1945): Ar 101.20.6 (Korrespondenz 1933-1944) archiviert
Transkription: Brief vom 10. Mai 1933
Barcelona, den 10. Mai 1933
Sehr geehrter Herr Dr. Bruppacher,
ich bitte Sie recht herzlich, gütigst entschuldigen zu wollen, dass ich Ihnen schon wieder mit einer Bitte komme. Aber ich kenne in Zürich niemanden, zu dem ich Vertrauen haben könnte, außer Ihnen. Aus dem beiligenden unverschlossenen Brief ersehen Sie alles. Es handelt sich zweifellos um eine Brief-Klausur des Sanatoriums-Arztes. Diese Herren spielen ja bekanntlich gerne den Potentaten. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu versichern, dass diese Massnahme durch nichts gerechtfertigt ist; am allerwenigsten durch den Gesundheitszustand Frau Stahls. Vielleicht allenfalls durch eine gewisse Eifersucht des Arztes auf meinen (seinen?) Einfluss bei der Patientin.
Ich bitte Sie, den beiligenden Brief, selbstverständlich nur direkt und verschlossen, durch eine vertrauenswürdige intelligente Person Frau Stahl aushändigen zu lassen. Lieber wäre es mir freilich, wenn Sie selbst es tun wollten, was ich umso mehr zu hoffen wage, als Sie ja in der Nähe wohnen. Am geeignetsten ist der Sonntag und zwar pünktlich mittags um 12 Uhr 30. Das ist die Zeit, da Frau Stahl mit dem Mittagessen fertig ist und man sie weder verfehlen kann noch warten muss. Adresse: Dr. Biercher-Benners Sanatorium "Lebendige Kraft", Keltenstraße 47 oder 69.
Für alle Fälle teile ich Ihnen mit, dass Frau Stahl klein und sehr schlank ist, schwarze Haare hat und schwarze Augen (Typus: Jüdin) und mit berliner Akzent spricht.
Mit herzlichem Dank im voraus,
Sie bestens grüßend
Ihr ergebener
Walter Serner
Meine Adresse ist:
c/o Viajes Marzans (?)
Rambla 2
Barcelona
Transkription: Brief vom 10. März 1933
Zürich, 10. III. 1933
Sehr geehrter lieber Herr Dr. Brupbacher,
ich danke Ihnen nochmals herzlich für Ihre Gefälligkeit und bitte Sie, mich gütigst entschuldigen zu wollen, dass es mir leider nicht möglich ist, Ihren heutigen Vortrag zu besuchen. Aber ich hatte schon anderweitig für diesen Abend disponiert.
Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn Sie mir Gelegenheit geben wollten, Sie wiederzusehen.
Ihr sehr ergebener Walter Serner
Florastrasse 46
Zürich 8
ps. Herr Levin von der "Vossischen Zeitung" wird Sie demnächst aufsuchen.
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